012 Kein Platz für Stolz

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Ich hab mich auf einen Stuhl gesetzt. Irgendeinen. Die wussten ja alle, wohin sie gehören. Ich nicht. Kein Kindergarten. Kein Anschluss. Keine Chance, mit den anderen Kindern mitzuhalten, weil ich sie einfach nicht kannte. Weil meine Mutter das anders entschieden hatte – aus Überzeugung, aus Geldgründen, weil mein Vater geizig war, nicht sparsam.

Also saß ich da – und wurde umgeseACtzt. Zwischen Jungs. Und in dem Alter ist das eine Strafe. Niemand redete mit mir. Niemand teilte. Und ich, die ich eh schon still war, war plötzlich auch noch seltsam. In den Pausen wich ich aus. Ich wollte nicht mitspielen. Ich konnte es auch nicht.

Später hab ich erfahren, wie sie mich nannten. „Psycho". Nicht ins Gesicht. Hinter meinem Rücken. Von Mitschülern, die es nicht besser wussten. Und vielleicht auch nicht schlechter. Denn: Ich war stolz. Ich war seltsam. Ich war stur. Ich hatte Prinzipien.

Dritte Klasse. Werkunterricht. Ich malte einen Holzschmetterling. Irgendwas daran störte mich. Ich fand ihn misslungen. Also warf ich ihn weg. Ein anderer holte ihn aus dem Müll. Gab ihn ab. Kriegt eine Zwei minus. Ich gab nichts ab. Kriegt eine Sechs. Und sagte:

„Ich hab nichts gemacht."
Weil das die Wahrheit war. Und weil ich keine halben Sachen mache. Nicht, wenn's um Stolz geht.

Faul konnte ich auch sein – aber nur beim Lernen, nicht beim Kämpfen. Das Prinzip der Mühelosigkeit war schon früh ein Teil von mir. Aber meine Haltung: die kam aus Stahl.

Und dann kam dieser Satz, von meiner Lehrerin, deren Namen nie wieder genannt werden soll:

„Was willst denn du auf dem Gymnasium? Von euch war doch noch nie jemand da."
Ich sagte nichts. Ich hab's mir gemerkt. Und irgendwann werde ich's erzählen.

Dann kam die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium. Meine Noten? Zu schlecht. Meine Lehrerin? Keine Hilfe. Meine Mutter? Zögerlich – bis ich sie weichgequatscht hab. Das hab ich immer schon gekonnt, wenn ich's wirklich wollte. Also bin ich hin. Hermann-Staudinger-Gymnasium. Naturwissenschaftlicher Zweig. Nicht da, wo A, meine beste Freundin war – aus Prinzip. Weil ich nicht „Anhang" sein wollte.

Und siehe da: Die Inhalte waren erschließbar. Klar strukturiert. Endlich Regeln. Endlich Ordnung. Ich war ganz gut – hab aber nicht dazugehört.
Nicht die richtigen Bücher.
Nicht die richtigen Filme.
Nicht die richtige Musik.
Nicht das richtige Zuhause.

Also hab ich's beendet. Nicht mit Worten. Mit Taten. Ich hab leere Seiten abgegeben. Drei Mal. Meine Mutter hat's kapiert. Die Lehrer auch.





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