008 Wenn Moral laut wird - und nicht nach Wahrheit fragt



Es ist ein eigenartiger Zustand: Einerseits will ich dazugehören – zu den Guten, zu den Reflektierten, zu den Verbündeten. Andererseits will ich denken dürfen, was logisch ist, selbst wenn es unbequem ist. Wenn jemand wie Shurjoka Gronkh angreift, weil er keine Meinung hat – noch keine –, dann beginnt bei mir ein innerer Widerstand. Und zwar kein rechter, kein transfeindlicher, kein hasserfüllter Widerstand. Gegen moralischen Absolutismus. Gegen Lagerdenken. Gegen das Aushebeln von Differenzierung durch Empörung.

Ich war nicht immer so sicher in meinen Urteilen. Ich bin es auch heute nicht. Aber ich habe einen Wert entwickelt: Ich möchte nicht vorschnell verurteilen. Ich möchte wissen, bevor ich rede. Und genau deshalb war mir Gronkhs Verhalten in dieser Kontroverse sympathisch. Weil er – als einer der wenigen – gesagt hat: „Ich weiß darüber zu wenig." Er hat nicht geschrien, nicht relativiert, nicht gehetzt. Er hat gesagt: Ich weiß nicht. Noch nicht. Und das wurde ihm ausgelegt wie ein Vergehen.

Es war der Moment, in dem ich dachte: Hier stimmt etwas nicht mehr.

Ich sage nicht, dass Gronkh perfekt ist. Dass er alles richtig gemacht hat. Dass es nicht klüger gewesen wäre, sich vorher mit der J.K. Rowling-Debatte zu befassen, bevor man ein Spiel wie Hogwarts Legacy plant. Aber das ist Kritik auf Augenhöhe. Nicht moralische Exkommunikation. Denn was Gronkh eben nicht getan hat – war Hass. Was er nicht getan hat – war Leugnung. Was er nicht getan hat – war Propaganda. Er war einfach nicht bereit, blind zuzustimmen. Es war nicht sooo klug von ihm zu fragen, ob ihm J.K. Rowling egal sein könne, aber man hätte antworten können: „Nein, wenn du mit deiner Reichweite ein Hogwardsspiel spiel spielst, dann solltet du mal überfliegen was Rowling so gesagt hat. Statt dessen wurde er mit dem Stempel „problematisch" versehen.

Ich bin nicht die Einzige, die da ausstieg.

Shurjoka, die ich früher sogar ein wenig mochte, wandelte sich für mich von einer klaren linken Stimme zu einer Symbolfigur für moralische Erpressung. Für diese „seltsame" Idee, dass differenzierte Zurückhaltung schlimmer sei als lautes Unrecht. Und schlimmer noch: Dass Kritik an dieser Haltung automatisch Frauenfeindlichkeit sei.

Nein. Ich glaube nicht, dass Gronkh Shurjoka angriff, weil sie eine Frau ist. Ich glaube, er war angefressen, ja – aber das lag daran, wie er von ihr öffentlich behandelt wurde. Und ich glaube, es ist kein Akt von Misogynie, wenn man sich gegen jemanden verteidigt, der einen öffentlich für etwas abstraft, das man gar nicht gesagt hat.

Wenn jemand sich nicht äußert, ist das nicht automatisch Zustimmung zum Falschen. Und wer eine große Reichweite hat, hat nicht nur Macht – sondern auch Verantwortung. Verantwortung heißt auch, nicht zu lügen. Nicht mitzulaufen. Nicht einfach eine „richtige Meinung" nachzuplappern, weil es gerade en vogue ist.

Und ja: Wer nicht bereit ist, diesen Unterschied zu machen, der schadet – sogar den Gruppen, die er*sie zu schützen meint.

Ich sage bewusst: „zu schützen meint". Denn oft sind es eben gerade nicht die Betroffenen, die diese hasserfüllten Debatten führen. Sondern Leute, die sich als Allies inszenieren, ohne zuzuhören. Ich habe das bei K gesehen – klug, belesen, eigentlich ein Guter. Aber sobald er unter Druck kommt, will er glänzen. Und verliert sich in Theoriekaskaden. Statt einfach zu sagen: Warum reden wir nicht mit den Betroffenen? Warum fragen wir nicht?

Ich bleibe dabei: Transfeindlichkeit ist, wenn man Menschen ihre Identität abspricht. Wenn man ihnen Rechte verweigert. Wenn man ihren Platz in der Welt leugnet. Das hat J.K. Rowling getan – und das kann man klar benennen. Gronkh hat das nicht getan. Er hat sich Zeit nehmen wollen. Und wurde dafür angegangen.

Das war der Moment, in dem ich Shurjoka nicht mehr zuhören konnte. Weil ihre Argumentation nicht mehr klang wie „Ich möchte etwas erklären", sondern wie „Wer mir nicht sofort glaubt, ist gegen mich." Und das ist nicht feministisch. Das ist nicht gerecht. Das ist kein gutes Ally-Sein. Das ist eine Umkehrung von Diskriminierung zu Meinungsterror.

Ich weiß, wie das klingt. Und es macht mich selbst traurig. Denn ich will auf ihrer Seite stehen. Aber nicht so.

Nicht so.


📌 Autoren-Notiz:
Ich bin YouTube-Dauernutzer. Nie einen Fernseher besessen, aber dafür tief im Netz – auch in seinen schmutzigeren Ecken. Meinungs-YouTuber sind mein Guilty Pleasure. Ich beobachte, wie Debatten eskalieren, wie Moral zur Keule wird – und wie Shoyoka und KuchenTV sich gegenseitig aufreiben. Ich mag keinen von beiden, ich verfolge diesen Streit schon lange nicht mehr,, aber gerade deshalb war der Fall Gronkh für mich so aufschlussreich: Weil er still blieb. Weil er innehielt, weil ich ihm zutraute, dass er nachlegen würde. Und weil genau das heute schon reicht, um als „feindlich" zu gelten.
Ich bin nicht binär – aber ich spreche nicht für alle Nicht-Binären. Und ich möchte auch nicht, dass andere es ungefragt für mich tun. Diese Einordnung ist kein Angriff. Sie ist ein Versuch, zu verstehen, wann eine Bewegung sich selbst im Weg steht.
Wenn mir jemand sagt dass ich lüge, dann gehe ich erst mal nicht davon aus, dass es an meinem Geschlecht liegt.



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