004 - Wackelnde Brüste, wackelnde Welten
Ich habe viel gestreamt in einer sexpositiven Online-Community. Nackt, angezogen, mal mit Action, mal ohne. Mal war's Sex, mal nur Gespräch. Und irgendwann habe ich angefangen zu tanzen. Nicht so inszeniert, nicht für irgendwen. Sondern wie ich tanze, wenn ich mich frei fühle. Wild. Sinnlich. Ohne Pose, ohne Choreografie. Weil ich das Tanzen liebe, weil ich es brauche.
Und genau da ging's los. Ausgerechnet beim Tanzen kamen die Beleidigungen. Die Trolle, wie Pete sie nennt. Ich weiß nicht, ob es wirklich Trolle waren oder ob es einfach Menschen waren, die mit so einer Form von Körperlichkeit nicht klarkommen. Über ein Jahr hatte ich gestreamt, über Trauma geredet, über Sex, über Erwerbsunfähigkeit, über Bipolarität, über Sucht – und niemand hat mich beleidigt. Aber dann tanze ich, körperlich, mit Berührung, mit dieser rohen Art von Sinnlichkeit, und auf einmal bin ich Zielscheibe.
Ich weiß nicht, was sie provoziert hat. Vielleicht mein Gewicht – ich hab knapp 100 Kilo auf 1,68 m. Vielleicht meine Brüste, die groß sind, hängen und beim Tanzen überall mitwackeln. Vielleicht, dass ich mich bewege, als wäre das erlaubt. Vielleicht, dass ich keinen Job habe, nichts zu verlieren – und mich gerade deshalb nicht verstecke. Vielleicht, weil ich tanze obwohl ich mich für Körper und Lebenssituation schäme.
Ich masturbiere beim Tanzen nicht vor der Cam. Ich biete auch sonst nichts an, worauf ich nicht grad Bock hab. Ich bewege nur meinen Körper, wie er ist. Und vielleicht ist das für manche schlimmer als jede Porno-Inszenierung. Weil es echt ist.
Pete liebt es übrigens. Er hat mich durch meine Streams kennengelernt, wenn auch in Talk und Mastrubationsstreams. Er sagt, er wird fast wahnsinnig, wenn ich tanze. „Du kannst dich so gut bewegen." Er meint das sexuell. Aber auch respektvoll. Ich glaube ihm das. Und trotzdem war es ausgerechnet dieser Tanz, der die meisten Reaktionen ausgelöst hat. Nicht der Sex, nicht das Reden – sondern das Tanzen.
Vielleicht, weil Tanzen keinen Schutz hat. Weil man sich dabei zeigt, wie man sich fühlt. Weil man dabei nicht cool bleibt. Vielleicht, weil Tanzen sagt: Ich will mich bewegen, egal wie ich aussehe. Ich will mich nur nicht klein machen – eigentlich will ich mich dann grad richtig groß machen.
Ich weiß, dass ich nicht das Idealbild bin und dass ich schon für meine Gesundheit etwas abnehmen sollte. Aber ich weiß auch, dass ich nicht dafür gemacht bin, mich dafür zu entschuldigen mich zu zeigen. Ich bin komplex. Ich hab zu viel durch, um mich jetzt zu verstecken.
Und ich tanze. Auch wenn andere das nicht ertragen. Vielleicht gerade dann.
Der komplette Joy-Storyarc auf Wattpad

Kommentare
Kommentar veröffentlichen