Audio zum Text Kapitel 0: Die Mauskiste Als Kind habe ich das Buch Frederik geliebt. Diese Maus, die nichts sammelte außer Sonnenstrahlen, Farben, Geschichten. Als der Winter kam und alle Vorräte aufgebraucht waren, hatte Frederik etwas, das alle anderen nicht hatten: Erinnerung. Trost. Wärme. Und so wurde aus Faulheit Kunst. Ich glaube, da hat etwas in mir angefangen. Der Gedanke, dass ich auch eine Mauskiste brauche – für später, wenn ich alt bin, wenn ich vielleicht allein bin, wenn ich etwas zum Erzählen brauche und wenn ich es mir nur mir selbst erzähle. Und die Geschichten, die ich erlebe, sind dafür. Ich habe sie nicht geplant, nicht gesucht – aber sie finden mich. Manche voller Schmerz, manche voller Leben. Manche banal. Manche leuchten. Ich sammle sie. Für später. Für mich. Für wen auch immer. Sie werden in chronologischer Unordnung einfach so auftauchen, assoziativ wie sie in meinem Hirn und auf meinem PC gelagert sind (ja mein Ordnersystem ist auch...
Audio zum Text Ich habe nichts gegen Religion. Wirklich nicht. Ich habe etwas gegen Menschenfeindlichkeit. Und leider ist das eine dem anderen oft näher, als viele wahrhaben wollen. Für mich ist Religion ein Versuch, Sinn zu erzeugen. Nicht zwingend in feindlicher Absicht. Menschen suchen nach Sinn, seit sie Bewusstsein haben. Ich kenne das aus erster Hand. Die Sinnsuche hat mich fast zerrissen. Sie war ein Teil meiner Suizidalität – nicht der einzige, aber ein gewichtiger. Religion ist, was Menschen bauen, um dem Chaos Form zu geben. Die einen nennen es Gott, die anderen Energie, das Universum, Dharma oder Ordnung. Der Wunsch ist der gleiche: Was bedeutet mein Leben? Ich hatte diesen Wunsch auch. Nur dass mir keine der religiösen Antworten gereicht hat. Ich habe sie gelesen, ich habe sie ernst genommen. Ich war Kind in einer evangelischen Familie, nicht fanatisch, aber offen. Mein Vater war früher Atheist, wurde dann evangelisch. Meine Mutter war evangelisch-lutherisch, m...
Vorweg: Meine Erinnerungen an diese Zeit sind stellenweise verschwommen. Einerseits wegen der psychischen Belastung, andererseits ganz banal – ich stand unter starkem Einfluss von Tavor. Es war 2009, kurz nach meinem ersten Suizidversuch. Ich kam auf die geschlossene Psychiatrie – eine Station, auf der ausschließlich weibliche Personen untergebracht waren, laut Ausweis. Ich habe dort auch trans Frauen kennengelernt, aber nur, wenn sie amtlich als weiblich eingetragen waren, Deutschland halt. Und ja, ich glaube, das hat etwas an der Stimmung auf der Station verändert, dass keine Männer da waren. Vielleicht weniger Aggression, weniger Testosteron-Aufladung, ich weiß es nicht genau – aber es war ein anderer Ton. Was ich aber sicher weiß: Diese Station war kein Horrorfilm. Keine Gummizellen, keine Zwangsjacken. Fixierungen gab es damals noch öfter als heute, aber auch das war kein sadistisches System. Es war ein überfordertes. Eine durchbürokratisierte Krankenhauseinheit mit zu wenig Perso...
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